Kennenlernen in Modulen

Bei der Summer School in der Multihalle machen sich Studierende Gedanken über ein funktionierendes Zusammenleben

Es ist Dienstag, der 13. August. Das erste, was auffällt, wenn man die imposante Mulithalle im Herzogenriedpark an diesem Tag betritt, ist der Geruch: Holz. Und lässt man seinen Blick schweifen, liegen auf dem Boden Holzgestelle, wachsen Holzwände, ein Holzturm entsteht, eine Holztreppe. Und mittendrin: viele junge Menschen, die meist englisch miteinander reden. Es ist ungefähr Halbzeit in der Summer School, die unter dem Motto „Co-Creating Home“ die Multihalle zur Werkstatt gemacht hat. Die Bauphase hat begonnen. Die Handwerker sind rund 70 Studierende aus Deutschland, Chile, Israel und den Niederlanden. Sie belegen Fächer wie Architektur oder Textildesign. Bei der Summer School, eine Art Bauworkshop, experimentieren und arbeiten sie gemeinsam. Mehr noch: Sie leben zwei Wochen lang in einem Zeltlager vor der Halle zusammen.

Und genau das mache den Unterschied zum Studienalltag aus, sagt Otto Trienekens von der Veldacademie in Rotterdam. Er ist einer der Betreuer, die die die jungen Studentinnen und Studenten vor Ort begleiten. Er ist auch einer, der erklären kann, was genau während der diesjährigen Summer School vor sich geht, die sich das „Zusammenleben in Städten“ zum Thema gemacht hat. „Für die Teilnehmer ist eines der Ziele, einmal eine Arbeit von vorne bis hinten durchführen zu können“, so Trienekens.

Vom Konzept bis zum eigenhändigen Bau im 1:1-Format. Etwas, das in Uniseminaren oder -workshops eher selten möglich ist. Doch es steckt noch mehr dahinter. Die Studierenden sollen sich obendrein viele Gedanken machen. Über Fragen zur offenen Gesellschaft, über Wohnen und darüber, wie sich die Bewohner einer kulturell vielfältigen Stadt kennenlernen können. Besser noch: wie sich die Menschen begegnen, wie sie dadurch vielleicht sogar näher zusammenrücken können. „Und wie können räumliche Begebenheiten diese Begegnung unterstützen?“, stellt Otto Trienekens die Frage in den Raum, die in den zwei Wochen der Summer School zumindest teilweise beantwortet werden könnte.

„Es ist auffällig, dass das Zusammenleben vieler Kulturen in Mannheim schon seit langem so gut funktioniert, die Co-Existenz friedlich ist“, sagt der Niederländer über die Quadratestadt. Besser als in manch anderen Städten. Und das fließe in die Arbeit der Studierenden mit ein. Doch es gibt noch einen weiteren Punkt, der ihnen aufgefallen ist. „Die Studenten haben sich überlegt, dass ein Großteil an kulturellen Eigenarten hauptsächlich in den eigenen vier Wänden zum Vorschein kommen“, so Trienekens. Und oft wisse man nicht, wie der Nachbar eigentlich wirklich lebt. „Die eigene Kultur findet in einer Art Black Box statt. In der Küche, im Wohnzimmer, in anderen Räumen, die von außen nicht sichtbar sind.“ Diese Box beziehungsweise diese eigenen vier Wände wollen die Summer School-Teilnehmer nun öffnen, sie in Module zerlegen, Einblicke ermöglichen und mit ihnen das gegenseitige Kennenlernen fördern.

So entstehen bis zum Ende der Summer School sieben Elemente, die die jungen Menschen aus Holz bauen und die im Herzogenriedpark aufgestellt werden. Diese Elemente, darunter eine Küche, ein Schlafturm, ein Teehaus und ein Wohnzimmer, sollen die Parkbesucher dann nutzen können, sie sogar in gewisser Weise nach ihrem Geschmack gestalten. „Die Menschen sollen sie auf ihre eigene Art nutzen“, erklärt Betreuer Trienekens. Die Studierenden zerlegen quasi ein Haus in seine einzelnen Räume, legen sie damit offen und ermöglichen die eigentlich sonst verborgenen Einblicke. Was landet auf dem Küchentisch? Wie wird gefeiert? Wie wird sich ausgeruht? „Wir hoffen, dass die Möbel gerne und ausgiebig von den Parkbesuchern genutzt werden“, so Otto Trienekens.

Während er erzählt, sind die Studierenden weiterhin schwer am werkeln. In der Halle übertönen Bohrgeräusche den kleinen Lautsprecher, der die Teilnehmer mit Musik beschallt. Außerhalb der Halle, dort, wo die schon fertigen Teile der Raummodule aufgebaut werden, herrscht ebenfalls konstruktive Stimmung, wird aufgestellt und zusammengebaut. So langsam nimmt alles Formen an, abstrakte Gedanken werden greifbar, Ideen für eine offenere Gesellschaft tatsächlich sichtbar.

Und da muss Otto Trienekens ein wenig lächeln. Denn das Konzept, dass die Studentinnen und Studenten mit ihrem Sommerhotel verfolgen, ist gar nicht so absurd. „Hier hat sich in den letzten Tagen auch eine Mini-Gesellschaft entwickelt“, beschreibt er das Zusammenleben der „Sommerschüler“. Sie zelten, essen, singen, tanzen, arbeiten gemeinsam. Sie genießen, akzeptieren und erleben so automatisch die kulturellen Eigenschaften der jeweils anderen, und das höchstens durch Zeltwände getrennt. Und was ist passiert? Sie sind auf diese Weise eine feste Gemeinschaft geworden.

Jan Millenet

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