Meine Multihalle –
Ein Gespräch mit Peter W. Ragge,
Chefreporter Mannheimer Morgen

Als Mannheimer, Lokaljournalist und Lokalpatriot ist Peter W. Ragge seit über 30 Jahren seiner Stadt, ihren Vereinen und Bürgern eng, aber nie unkritisch verbunden. Er kämpft für den Erhalt lokaler Identität und lokaler Baudenkmäler – und hat einen ganz besonderen Bezug zur Multihalle.


Herr Ragge, wann waren Sie zum ersten Mal in der Multihalle?

Das kann ich ziemlich genau sagen, weil ich das alte Programmblatt noch habe:  Es war am 2. Mai 1975. Vielleicht war ich vorher auch in der großen Blumenschau, die es dort zur Eröffnung und zum Abschluss der Gartenschau gab – dazwischen waren viele Veranstaltungen. Und ganz sicher dabei war ich eben bei jener Sportshow in der Multihalle Anfang Mai. Ich war damals erst zehn Jahre alt, aber ich kann mich noch sehr genau an die Trampolinspringer erinnern, die fast bis unter die Hallendecke gesprungen sind. 

Trampolinspringer? Was war denn da los in der Halle?

Eine Sportshow – dem Programm nach mit Mannheimer Vereinen ebenso wie Spitzensportlern, alle möglichen Disziplinen. Danach gab es viele TV-Shows während der Bundesgartenschau 1975  wie die Sendung ‚Zum Blauen Bock‘ mit Moderator Heinz Schenk. Dafür wurde in der Halle ein großer Bereich eingerüstet und mit schwarzem Stoff bespannt, um eine perfekte Studioatmosphäre zu schaffen. Ich kann mich auch gut daran erinnern, dass die Volksschauspiele Ötigheim zu Gast waren. Da sind die Schauspieler auf Pferden durch die Halle geritten – was mich damals sehr beeindruckt hat.

Für die Ausstellung „BUGA 75 – Ein Fest verändert die Stadt“ haben Sie dem Marchivum viele private Leihgaben zukommen lassen. Woher kommt Ihr intensiver Bezug zum Thema Bundesgartenschau?

An die BUGA 1975 habe ich intensive Erinnerungen, weil ich fast den ganzen Sommer in den beiden Parks verbracht habe und auch hinter die Kulissen schauen konnte. Mein Vater war damals Mitarbeiter der Gartenschau-Gesellschaft und in der Veranstaltungsabteilung für das Rechnungswesen zuständig. Er nahm mich und meine Mutter oft mit den zu Veranstaltungen, weshalb ich auch bei der Generalprobe zum ‚Blauen Bock‘ dabei sein konnte. So ist mir in Erinnerung geblieben, dass es damals Schilder gab mit Hinweisen wie „Beifall jetzt“ und „Beifall stop“. Das war moderierte Stimmung ähnlich wie bei der ‚Dalli Dalli‘-Show mit Hans Rosenthal, die ich ebenfalls in der Multihalle erleben durfte. Ich habe damals Autogramme gesammelt von allen Stars, die im Lauf des Jahres in der Stadt waren: von Heino über Peter Kraus bis Karel Gott. 

Welche Erinnerungen haben Sie an Hanns Maier?

Hanns Maier war eigentlich Verwaltungsdirektor des Nationaltheaters und besaß viel Veranstaltungserfahrung, neben seiner Hauptaufgabe hat er ja auch das Mannheimer Filmfestival geleitet und war eben Veranstaltungschef der Bundesgartenschau. Ich habe ihn gut gekannt, denn mein Vater war einer seiner Mitarbeiter und ich erinnere mich, dass ich immer sehr willkommen war. Da nur wenige der damaligen BUGA-Mitarbeiter Kinder hatten, durfte der kleine Peter immer mit. Ich war damals oft im Organisationsbüro in der Gottlieb-Daimler-Straße, aber natürlich auch bei den Veranstaltungen. Bei schönem Wetter hat meine Mutter den Picknickkorb gepackt und wir sind dann in die Parks, wo es für Kinder viele spannende Attraktionen gab. Ich erinnere mich gerne an den Modellbootweiher und an den großen Spielplatz mit den Wasserspritzpistolen. Und echte Highlights waren für mich die abendlichen Sommer-Feste mit Feuerwerk.

Sind Sie mit dem Aerobus auch mal in den Herzogenriedpark gefahren, um die Multihalle zu besuchen?

Wir haben damals in Feudenheim gewohnt und da war der Luisenpark leichter erreichbar. Mit dem Aerobus bin ich aber zu besonderen Veranstaltungen im Herzogenriedpark gefahren. Ich weiß noch, dass mich die Architektur der Multihalle schon damals beeindruckt hat. Alles war neu, sehr modern und aufregend. Die Stadt war im Aufbruch.

Was hat die BUGA 75 in Mannheim und für Mannheim ausgelöst?

Mannheim kam durch die BUGA erstmals bundesweit ins Bewusstsein. Heute würde man von perfektem Stadtmarketing sprechen. Mannheim war Mitte der 70er Jahre ja noch so etwas wie eine vergessene Stadt. Im alten Badner-Lied war sie die Stadt mit der Fabrik und in der schwäbischen Hauptstadt wurde sie lange nicht wirklich wahrgenommen. Viele Stuttgarter schienen damals noch zu glauben, dass Mannheim eher zu Hessen als zu Baden-Württemberg gehört. Und genau in dieser Zeit schaffte es die BUGA dann plötzlich, über acht Millionen Besucher zu erzielen. Die Stadt hatte sich neu erfunden und überall waren positive Veränderungen sichtbar, das habe ich damals selbst als Kind irgendwie gespürt. Stadtplanerisch gab es Bewegung mit der Eröffnung der Fußgängerzone, dem Bau des Fernmeldeturms im Luisenpark – oder eben dem Bau der Multihalle im Herzogenriedpark.

Wann ist Ihnen die architektonische Bedeutung der Halle bewusst geworden?

Als Zehnjähriger fand ich die Halle toll und auch außergewöhnlich, aber mehr nicht. Erst gut zehn Jahre später, als Volontär bei der Rhein-Neckar-Zeitung, habe ich mich dann mit der Architektur und den Architekten beschäftigt. Schon damals war zu beobachten, dass die Multihalle langsam in Vergessenheit gerät. Es gab in den 80er und 90er Jahren zwar Veranstaltungen wie Hallenflohmärkte oder politische Kundgebungen, aber der Zahn der Zeit begann an der Konstruktion zu nagen. Die beliebten Mittelaltermärkte fanden zuerst noch unter dem Hallendach statt, bevor sie nach draußen verlegt wurden. Und als Redakteur beim Mannheimer Morgen habe ich dann irgendwann den Tag erlebt, als plötzlich die Hallentüren verschlossen waren – und der Park das überhaupt nicht kommuniziert hat.

Sie haben damals im Mannheimer Morgen sehr kritisch über die Schließung berichtet.

Ja, denn indem man die Türen abschließt und die Fenster zuklebt, kann so eine Halle nicht einfach aus dem Gedächtnis der Stadt gestrichen werden. Probleme löst man nicht, indem man sie negiert.

Sie setzen sich sehr aktiv für den Erhalt der Multihalle ein. Was ist Ihre Motivation?

Die Erhaltung der Multihalle ist mir nicht nur ein persönliches Anliegen, weil ich schöne Erinnerungen mit ihr verknüpfe. Ich denke, dass eine Stadt wie Mannheim ein solches architektonisches Juwel nicht verrotten lassen darf, sondern es nutzen muss.

Wie kann die Multihalle aus ihrer Sicht zukünftig genutzt werden?

Die Idee einer multifunktionalen Nutzung hatte der Mannheimer Architekt Carlfried Mutschler schon 1975. Das hat damals funktioniert – und warum sollte das nicht auch in Zukunft funktionieren? Ich bin überzeugt, dass es bei den Bürgern eine große Nachfrage nach so einem Veranstaltungsort gibt. Wenn man Mannheimer an ihre Erinnerungen von 1975 anknüpfen lässt, dann werden viele neue Ideen entstehen, um hier etwas Neues zu schaffen. Und davon angesehen, nutzen viele Menschen die Halle schon seit Jahrzehnten. Wenn man an einem normalen Donnerstagnachmittag im Multihallenrestaurant die Senioren beim Tanztee sieht, dann stellt man fest, dass es gewachsene und erhaltenswerte Strukturen gibt. Ich denke nicht, dass man sagen kann, die Halle solle zukünftig nur für Sport oder nur für Kultur genutzt werden. Ich finde, sie muss eine Multifunktionshalle bleiben. Auf der nördlichen Seite des Neckars gibt es keinen Veranstaltungsort in dieser Größe. Und das schirmartige Dach macht die Halle regensicher – darin sehe ich großes Potenzial. Ursprünglich hat Carlfried Mutschler die Multihalle als ein Marktplatz für die Neckarstadt gedacht. Man wird hier aber keinen Wochenmarkt abhalten können, weil die Halle Teil des Parks und nicht frei zugänglich ist. Aber auch darüber wird man in Zukunft nachdenken müssen: Die Lage im Park ist eine Hemmschwelle.

Sind sich die Mannheimer Bürger über die Bedeutung und das Zukunftspotenzial der Multihalle bereits bewusst?

Ich denke, es wissen schon viel mehr Mannheimer als noch vor ein paar Jahren, welche Bedeutung die Multihalle hat. Die BUGA-Ausstellung im Marchivum war wichtig, um dieses Bewusstsein zu schärfen. Die Multihalle ist aus meiner Sicht eines der bedeutendsten modernen Baudenkmäler der Stadt. Moderne Bauwerke mit hochwertiger Architektur helfen, das Profil unserer Stadt zu schärfen. Bestes Beispiel: Heute diskutieren Leute aus aller Welt über die Zukunft der Multihalle, die vorher wohl nicht mal wussten, dass es Mannheim überhaupt gibt.

Wie könnte die Organisationsstruktur nach einer erfolgreichen Sanierung aussehen?

Es muss ein professionelles Veranstaltungsmanagement her, wie es das auch für die Seebühne im Luisenpark oder im Rosengarten gibt. Mannheim hat genug kommunale Organisationen, die so etwas können. Vielleicht kann eine bestehende Gesellschaft die Multihalle bespielen oder man muss eine eigene dafür gründen. Die entscheidende Frage bleibt aber: Was will die Kommunalpolitik? Klar ist: Man wird eine Multihalle nicht ‚fer umme‘ haben können. Wenn man es halbherzig und unprofessionell macht, kann dieses Zukunftsprojekt scheitern. Im Grundgesetz gibt es einen Artikel, der heißt: Eigentum verpflichtet! Und das gilt meiner Meinung nach erst recht für eine Kommune. Man kann Bürgern, die in einem denkmalgeschützten Haus leben oder Eigentümer sind, nicht alles Mögliche abverlangen, um denkmalgerecht zu sanieren und dann gleichzeitig ein denkmalgeschütztes Gebäude wie die Multihalle abreißen. Dann hätte die Stadt ihre Glaubwürdigkeit verloren. Letztendlich bin ich also sehr froh zu sehen, wie seit der Gründung des Vereins Multihalle e.V. die Stadt daran arbeitet, die Multihalle zu erhalten. Die schlafende Schönheit wird jetzt zum Glück wieder wachgeküsst.

Fotos: Thomas Tröster

ARTIKEL TEILEN